Zwischen Macht und Moral – Wie Maria Stuart zur „schönen Seele“ wird

4. Mai 2025

In diesem Blogbeitrag setze ich mich mit Friedrich Schillers Drama Maria Stuart auseinander und zeige, wie die Titelfigur Maria im Verlauf der Handlung zur „schönen Seele“ im Sinne der Weimarer Klassik wird.

Ein Blogeintrag von Lara Serin

Maria Stuart und Elizabeth I., Bild generiert von KI (Chat GPT).

Im Deutschunterricht haben wir uns mit dem Drama Maria Stuart von Friedrich Schiller beschäftigt – einem Werk aus der Weimarer Klassik. Im Zentrum steht der Konflikt zwischen den zwei Königinnen Maria Stuart, der katholischen Königin von Schottland, und Elisabeth I., der protestantischen Königin von England. Beide erheben einen Anspruch auf die englische Krone. Elisabeth ist aus katholischer Sicht nicht legitim zur Thronfolge, da ihr Vater, Heinrich VIII., sich vom Papst lossagte und die anglikanische Kirche gründete, da dieser seine Scheidung nicht erlaubte. Maria hingegen stammt aus einer anerkannten Linie, somit hat sie einen traditionellen Anspruch auf den Thron. Die katholische Maria stellt somit eine Bedrohung für die protestantische Herrschaft von Elisabeth dar. Maria wird in England gefangen gehalten. Ihr wird vorgeworfen, in das Komplott zur Ermordung ihres Ehemanns und in einen Anschlag gegen Elisabeth verwickelt zu sein. Ein Höhepunkt des Dramas ist die dramatisch inszenierte Begegnung zwischen Maria und Elisabeth, die historisch nie stattgefunden hat. Elisabeth vermeidet später eine klare Entscheidung über Marias Schicksal und delegiert die Verantwortung an ihre Berater. Am Ende unterschreibt sie jedoch das Todesurteil – aus politischem Kalkül, aber ohne innerliche Klarheit. Maria erscheint zunächst leidenschaftlich und stolz, gewinnt jedoch im Verlauf des Stücks an Reife und Würde. Elisabeth dagegen ist hin- und hergerissen zwischen persönlichem Zweifel und politischer Machtstrategie. Schiller geht über eine bloss politische Erzählung hinaus und beleuchtet die psychologischen Entwicklungen beider Frauen. Besonders die Wandlung Marias zur gefassten, fast erhabenen Figur legt nahe, dass es Schiller auch um eine tiefere, idealistische Darstellung des Menschen geht. Diese Entwicklung Marias verweist auf ein zentrales Ideal der Weimarer Klassik: jenes der "schönen Seele", das ich im Folgenden näher beleuchten möchte.

Wie Maria Stuart zu einer schönen Seele wird

Zu den grundsätzlichen Ansprüchen der Weimarer Klassik gehören, dass die Literatur und die Kunst als ausgezeichnetes Mittel zur Bildung und Veredlung des Menschen dienen, man will den Menschen innerlich moralisch festigen und ethisch stark machen. Dabei sollte nicht nur der Verstand kultiviert werden, sondern auch der Geschmack, das Mitgefühl und die Sensibilität sollten ausgebildet werden. Im Fokus liegt nicht das Zufällige im Menschen, sondern das Typische und Allgemeingültige. Die Literatur sollte nicht subjektiv sein, sondern soll allgemein gültige menschliche Erfahrungen widerspiegeln. Mit der Kunst wird somit ein Idealzustand beschrieben, der den Menschen als Orientierungsmassstab dient. In der Weimarer Klassik geht man von einem grundlegenden Dualismus in der Welt aus – dem Dualismus zwischen Materie und Geist, der sich auch im Menschen zeigt. Der Mensch verfügt einerseits über einen Körper mit Gefühlen, Sehnsüchten, Bedürfnissen und andererseits über einen Verstand mit rationalen Ideen, Zwecken und Interessen. Der ideale Mensch ist jener, bei dem beide Seiten in Harmonie vorliegen und ausgewogen sind – wenn der Geist und die Materie in Harmonie zusammenwirken.

In diesem Zusammenhang entwickelt Schiller in seiner Schrift Über die ästhetische Erziehung des Menschen das Konzept der «Schönen Seele».  Der Mensch soll durch die Auseinandersetzung mit Kunst und Literatur erzogen und veredelt werden. Die Ausgangsüberlegung dabei ist, dass nicht der gute Charakter entscheidend ist, sondern das tatsächliche, moralisch gute Handeln. Schön ist die sichtbare gute Tat, die sich positiv auf die Bildung des Charakters auswirkt. Handlungen wie Höflichkeit, Selbstlosigkeit oder Zuvorkommenheit – zunächst aus Pflicht vollzogen – formen mit der Zeit den Charakter positiv – Veredelung des Menschen. Abgeschlossen ist die ästhetische Erziehung, wenn Neigung (Charakter) und Pflicht (gute Tat) harmonisch ineinander fallen und somit in Einklang stehen. Eine «schöne Seele» tut das moralisch Richtige nicht aus Zwang oder äusseren Druck, sondern aus innerer Überzeugung und mit freiem Willen. Wer aus innerem Antrieb gut handelt, verkörpert für Schiller die «schöne Seele» - das Humanitätsideal der Weimarer Klassik.

Das Ideal der „schönen Seele“ lässt sich gut an der Figur Maria in Schillers Maria Stuart nachvollziehen. Im Verlauf des Dramas durchläuft sie eine klare innere Entwicklung. Zu Beginn erleben wir sie emotional, verletzlich und gefangen – sowohl physisch als auch innerlich. In der berühmten Begegnung mit Elisabeth zeigt sie sich stolz, ihre Haltung ist noch stark von Wut und Verzweiflung geprägt. Gegen das Ende des Dramas wirkt sie jedoch ganz im Gegenteil gefasst, ruhig und erkennt ihre eigene Schuld an. Sie zeigt Reue, übernimmt Verantwortung und begegnet dem Tod mit Würde. Entscheidend ist, dass sie am Schluss nicht aus Trotz oder äusseren Zwängen handelt, sondern aus freiem Willen. Genau darin sieht Schiller das Ideal der schönen Seele: eine Harmonie zwischen Gefühl, Vernunft und moralischem Handeln. Maria handelt überzeugt, nicht impulsiv – sie wird zu einer Figur, die innerlich frei ist, auch wenn sie äusserlich gefangen bleibt. Ganz anders, Elisabeth: Sie wirkt bis zum Schluss innerlich zerrissen. Sie zögert, verdrängt ihre Verantwortung und überlässt zentrale Entscheidungen anderen. Ihr Handeln ist geprägt von politischem Kalkül, aber nicht von innerer Klarheit. Der Einklang, den Schiller fordert, fehlt – sie bleibt eine Figur, die nicht zur schönen Seele wird. Somit zeigt sich, dass wahre Freiheit nicht in der äusseren Befreiung, sondern in der inneren Erlösung liegt, die Maria erreicht, während Elisabeth in den Ketten ihrer eigenen Widersprüche bleibt.

Quellen:

  • Unterrichtsmaterialien "Präsentation Weimarer Klassik" von Markus Beutler, Gymnasium Kirchenfeld

  • Deutschunterricht Markus Beutler, Gymnasium Kirchenfeld

  • Friedrich Schiller (2004): Maria Stuart. Text und Kommentar. Kommentiert von Wilhelm Grosse. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.